Die Kasseler Bevölkerung hatte sich, wie viele Jahre in den Kasseler Medien festzustellen war, ein Stück weit von ihrem Fluss abgewandt, der Jahrhunderte nicht nur Transportweg war, zunächst nur Wasserräder, später Turbinen antrieb, bei Hochwasser und der Sprengung der Edersee-Staumauer Überflutungen verursachte, andererseits aber auch umfangreichen Wassersport ermöglichte. Ein Umdenken setzte mit dem Wiederaufbau der Unterneustadt, den neuen Brücken zur Buga 1981 und zur Unterneustadt, der Fuldapromenade unterhalb der Wassersport treibenden Vereine ein. Bereits kurz nach der Jahrtausendwende wandten wir als VDE Kassel uns dem Fluss zu: Viele Jahre und sicherlich auch weiterhin sitzen wir bei unserem Sommervortrag – bei passendem Wetter direkt am Wasser – in der Neuen Mühle, dem ersten Kasseler Kraftwerk. Und 2005 unternahmen wir von der Anlegestelle der "Stadt Kassel" am Kasseler Altmarkt, der "Schlagd", eine "Fulle-Kreuzfahrt" flussabwärts bis hinter die Wahnhäuser Schleuse beim niedersächsischen Speele und zurück.
Die neue Stadtschleuse Kassel an der Fulda
Ein Aufschrei ging durch die Stadt, als das WSA Hann. Münden die Kasseler Stadtschleuse zwischen der Fuldabrücke und der Hafenbrücke wegen Baufälligkeit schloss und so jeden Schiffsverkehr von der Schlagd die Fulda abwärts unterband. Zu unserem 100-jährigen Jubiläum in 2022, bereits zehn Jahre zuvor in den Vorstandssitzungen diskutiert und dann auch beschlossen, mussten wir die "Weserstein" aus Hann. Münden kommen lassen und am Hafen einsteigen.
Warum erzählen wir das hier auf den Internetseiten des VDE Kassel? Nun, zwei ehemalige Vorstandsmitglieder des VDE Kassel sind aus unterschiedlichen Gründen daran interessiert: Der eine, Joachim Bürgel, weil er an der Schleuse aufgewachsen ist und vieles dort erlebt hat; der andere, Wolfgang Dünkel, weil seine ehemaligen Kollegen die elektrische Ausrüstung geplant, geliefert und in Betrieb genommen haben. Und zudem auch, weil der Vortragende zur elektrischen Ausrüstung persönliches Mitglied und sein Arbeitgeber korporatives Mitglied des VDE Kassel sind.
Vorgeschichte der Kasseler Stadtschleuse
Auf vielen historischen Stadtansichten aus dem Mittelalter ist ein reger Schiffsverkehr im Stadtgebiet dargestellt. Selbst die „Kleine Fulda“ (Druselbach), die heute nur ein winziges Bächlein ist, war früher ungleich größer und natürlich schiffbar. Voraussetzung für die Schifffahrt war aber ein Stau der Fulda durch ein Wehr. Dieses historische Steinwehr ging von der Unterneustädter Mühle bis zum Finkenherd. Nun stellt ein Wehr aber ein unüberwindbares Hindernis für die Schifffahrt dar und muss wegen des Höhenunterschiedes durch eine Schleuse umfahren werden. Die erste Schleuse im Stadtgebiet stammt von 1556 und befand sich an der heutigen Vogt´schen Mühle, der damaligen Ahnaberger Mühle. Entsprechend dem damaligen technischen Stand war es eigentlich mehr eine Wasserrutsche.
Die erste „richtige“ (zweite) Schleuse als Kammerschleuse (rechteckiger Schleusenquerschnitt und Verschluss durch das sog. Unterhaupt und das sog. Oberhaupt) wurde dann um 1760 an gleicher Stelle errichtet. Nachdem die am Fluss liegenden Stadtteile schon seit vielen Jahrhunderten unter Hochwasser gelitten hatten, wurde von der Stadt um 1904 ein einzigartiges Großprojekt entwickelt, heute würde man sagen ein Masterplan, der hauptsächlich die Hochwassergefahr vermindern sollte und nur als Nebeneffekt dann auch die Schifffahrt verbessern sollte. Bestandteil des Masterplans war eine Vielzahl von einzelnen großen Segmenten (Neubau einer rückstaufreien Fuldabrücke, Bau der bis dahin nicht existierenden Hafenbrücke, Abbau Kleiner Finkenherd, Schließung Unterneustädter Mühle, Ausbau Ahnaberger Mühle, gravierende Änderungen am Flussverlauf und viele andere mehr), der Neubau der (dritten) Schleuse und des Wehres war nur ein Teil dieses umfassenden Plans. Abgesehen vom Wiederaufbau der Stadt nach dem zweiten Weltkrieg ist dies als das bis heute größte Projekt in der Stadtgeschichte anzusehen. Die damaligen Gesamtkosten in Beziehung zu den heutigen Kosten gesetzt ergibt ein Äquivalent von heute zwölf verkehrsfähigen Brücken im Stadtgebiet Kassel.
Das Steinwehr wurde 1913 durch ein neuartiges städtisches Walzenwehr ersetzt, damit konnte durch das motorische Ziehen der Walzen das Wasser im Hochwasserfall schneller abgeführt werden. Parallel zum Walzenwehr entstand gleichzeitig die dritte, nun staatliche Schleuse in Form einer „Großschifffahrtsschleuse“. Da der Kasseler Hafen, erbaut in 1895, deutlich vor Walzenwehr und Schleuse lag, hatte der innerstädtische Güterverkehr auf dem Wasser im späteren Verlauf aber eine eher marginale Bedeutung. Das städtische Walzenwehr und die staatliche Schleuse wurden ab 1913 in Personalunion von der Stadt Kassel (Tiefbauamt) verwaltet. Nachdem die Schleuse in 1942 und 1943 stark beschädigt wurde und die Stadt nach dem Krieg kein Geld für eine Instandsetzung der Schleuse hatte, wurde 1952 das Walzenwehr an den Staat übertragen und so kam die gesamte Wehr- und Schleusenanlage unter staatliche Verwaltung. In der Folgezeit wurden am Walzenwehr, aber insbesondere auch an der Schleuse sehr aufwändige Reparaturen und Instandsetzungen vorgenommen.
Details der neuen Kasseler Schleusentore
Das Bild unten links zeigt den Einbau des einflügeligen Schlagtors am Unterhaupt, noch am Kran hängend. Am Oberhaupt ist das Schlagtor noch nicht eingebaut, die Abspundung zum Oberwasser ist erkennbar.
Das zweite Bild zeigt das fertig eingebaute Schlagtor am Oberhaupt, bei dem noch die Verbindung zum Spindelantrieb fehlt. Das motorisch vertikal verstellbare Wasserschütz zum Wassereinlass ist am unteren Bildrand erkennbar.
Die weiteren drei Bilder zeigen das Schlagtor am Unterhaupt mit Blick auf das Unterwasser, die verstellbare Anlenkung und den Spindelantrieb des unten gelagerten Schlagtores
Vortrag zu Planung und Bau der neuen Schleusenanlage
Am 1. Oktober 2023 hielt Herr Harald Jordan, Projektleiter „Neubau der Stadtschleuse Kassel“ von KASSELWASSER im Schifffahrtsmuseum einen Vortrag über die Vorbereitung, die Planung und den Bau der Schleuse. Die wichtigsten Punkte aus diesem Vortrag sind nachfolgend aufgeführt.
Vor dem Beginn der Planungen der nunmehr vierten Schleuse in Kassel mussten viele Einzelheiten mit dem Bund geklärt werden, so musste das Grundstück der Schleuse aus dem Eigentum des Bundes überführt werden und alle möglichen Schnittstellen geklärt werden. Die Vorhäfen im Unter- und Oberwasser verbleiben im Eigentum des Bundes. Verfahrensführer für den Bau war das RP Kassel. Nach europaweiter Ausschreibung der Planungsleistungen wurde im Februar 2020 die Genehmigungsplanung eingereicht, zehn Monate später lag die Baugenehmigung vor. Nach der anschließenden Ausschreibung der Bauleistungen war im Juli 2021 Baubeginn, die offizielle Einweihung erfolgte nach weniger als zwei Jahren plangemäß im Juni 2023. Auch die Baukosten lagen mit 9,3 Millionen Euro im Plan. Erschwernisse waren der Rückbau der alten Bausubstanz mit 2.400 m³ Stein und Beton sowie die landseitige Verankerung der Schleusenmauer mit 40 Bohrverpresspfählen von 25 m Länge. Der Neubau erforderte 2.800 m³ Beton und eine Stahlbewehrung von 600 t. Neben den technischen Problemen traten durch die Insolvenz eines Hauptlieferanten auch erhebliche logistische Probleme auf, die aber mit großem Einsatz gelöst werden konnten.
Die Maße der Schleuse wurden an die Maße der Schleuse Wahnhausen angeglichen:
Nutzlänge 35 m
Breite: 6,75 m
Wandhöhe 5,75 bis 6,25 m
Drempeltiefe 1,50 m
Normaler Schleusenhub: 2,84 m
Inzwischen hat die Schleuse die ersten vier Betriebsmonate ohne größere Probleme überstanden. In der Zeit vom 1.11.2023 bis zum 31.3.2024 ruht der normale Schleusenbetrieb.
Vortrag zur elektrischen Ausrüstung der neuen Schleusenanlage
Dipl.-Ing. Christian Fröhlich gliederte seinen Vortrag am 12. Oktober 2023 im Schifffahrtsmuseum zur elektrischen Ausrüstung der neuen Stadtschleuse Kassel in die Kapitel Vorgeschichte, Planung, Ausführung und Technik sowie Inbetriebnahme / Betrieb. Alle gezeigten Folien stehen am Beginn dieser Internetseite unter als PDF-Datei zum Download zur Verfügung. Wir beschränken uns hier aus Kapazitätsgründen auf die Technische Ausrüstung.
Wie alle Schleusen flussabwärts bis zur Fulda-Stadtschleuse in Hann. Münden sollte auch die neue Kasseler Stadtschleuse eine Selbstbedienungsanlage werden, musste also eine sicherheitsgerichtete Steuerung erhalten und bei plötzlichen Stromausfällen des öffentlichen Netzes aktuelle Signalzustände behalten bzw. weiter empfangen. Da von kleinsten Ruderbooten bis zur hoffentlich wieder auflebenden Personenschifffahrt bei einem plötzlichen Stromausfall bei einer Schleusung die darin sitzenden Menschen betroffen sein könnten, stellt eine einphasige USV-Anlage dies für eine Überbrückungszeit von 30 min sicher. Zwar können Antriebe wie Schleusentore und Zu-/Ablaufschieber dann nicht verfahren werden, aber der Leitwarte im städtischen Klärwerk, betrieben durch KASSELWASSER werden solche Störfälle gemeldet und ein Notstromaggregat kann nach Eintreffen des Wartungspersonals zugeschaltet werden, um Grundfunktionen unter Beachtung einer Maximalleistung aufrecht zu erhalten (Folien 8 – 10).
Gesteuert wird die Stadtschleuse Kassel mittels einer speicherprogrammierbaren Steuerung von Siemens, welche als zentrale Prozesseinheit eine F-CPU 1516-3 PN/DP nutzt. Über dezentrale Profinet-Buskoppler sind die digitalen und analogen Ein- und Ausgänge angeschlossen, z. T. in fehlersicherer Ausführung. Ein großformatiges Bedienpanel ist in der Schaltanlage im Gebäude des Wasserstraßen und Schifffahrtsamtes eingebaut, ein Mobile-Panel erlaubt über Connection-Boxes an drei Punkten der Stadtschleuse die Steuerung vor Ort, z. B. also der Schlagtore und Wasser-Ein- bzw. Auslauf-Schütze am Ober- und Unterhaupt.
Wer noch die alte Stadtschleuse in Erinnerung hat: Dort waren zweiflügelige Stemmtore eingebaut, also Tore, die gegen das Oberwasser bewegt wurden und durch dessen Krafteinwirkung gegen das Unterwasser abdichteten. Der Wassereinlass am Oberhaupt bzw. -auslass am Unterhaupt erfolgte durch Wasserschütze in den seitlich der Schleusenkammer liegenden Umlaufkanälen motorisch bewegt unter der Aufsicht einer Bedienperson. Diese Wasserbautechnik ist jetzt durch einflügelige Schlagtore und in den Schlagtoren eingebaute Schütze ersetzt, welche motorisch mit variabler Geschwindigkeit über die vier Frequenzumrichter verfahren werden (Folien 11 – 13).
Eine umfangreiche Sensor- und Signaltechnik mit Pegelsonden für die variablen Wasserstände am Oberhaupt, bedingt durch das benachbarte verstellbare Walzenwehr, bzw. am Unterhaupt, bedingt durch das im Unterwasser liegende Wehr mit der Schleuse Wahnhausen, Torraumscannern zur pegelabhängigen Überwachung der Räume vor und hinter den Schlagtoren, taktilen Schaltleisten zur Überwachung der Torbewegungen und zahlreiche weitere Schalter und Sensoren ist in den Folien 14 – 17 dargestellt. Eine Lichtsignalanlage, Kommunikationstechnik mit Gegensprechanlage und Lautsprecherdurchsagen, Textanzeigen, Kommunikationstechnik für die Personenschifffahrt und Sicherheitsbehörden, die Bedienung und die Ablaufsteuerung sind in den weitgehend selbsterklärenden Folien 18 – 26 dargestellt.
Einweihung der neuen Kasseler Stadtschleuse
Die Eröffnung der neuen Stadtschleuse wurde am 16. Juni 2023 durch den damaligen Kasseler Oberbürgermeister Christian Geselle in Gegenwart des Regierungspräsidenten und Vertretern des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamts Weser vorgenommen.
Besichtigung der Schleusenanlage mit weiteren Bildern
Nach den beiden vorgenannten Vorträgen erfolgte am 20.10.2023 eine mit über 50 Teilnehmern sehr gut besuchte Besichtigung der Schleuse und der Wehranlage. Ausführliche Erklärungen dazu gaben die beiden Referenten der Vorträge, Herr Harald Jordan für Bau und Betrieb, sowie Herr Christian Fröhlich für die Elektrische Ausstattung und die entsprechenden Steuerungselemente. Wegen der großen Zahl der Besucher und der dadurch nicht möglichen Abfrage, ob diese mit einer Veröffentlichung bei eventueller Erkennbarkeit einverstanden sind verzichten wir hier auf eine Wiedergabe und bringen demnächst noch einige weitere Fotos vom Bau und der Einweihung der Anlage.
Joachim Bürgel, VDE Kassel
Wolfgang Dünkel, VDE Kassel
Fotos: Joachim Bürgel, VDE Kassel
Grafiken: H. Kleinknecht GmbH & Co. GmbH
(last update 28.04.2024)