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Prof. Dr.-Ing. Mathias Noe
23.11.2015 Veranstaltungsrückblick

Widerstand zwecklos - Supraleiter erobern Smart Grids

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Themen

Am 19.11.2015 hielt Prof. Dr.-Ing. Mathias Noe vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) einen gut besuchten Vortrag zum Thema der Supraleiter, welcher für etliche der Teilnehmer überraschende Einblicke in die bereits bestehenden Möglichkeiten und ebenso eindrucksvolle Ausblicke in die zu erwartende Zukunft der Hochtemperatur-Supraleiter bot. Aufgrund der längeren Diskussion mit den Zuhörern und der sich anschließenden Einzelgespräche mit "Netzwerkern" aus unserer Mitgliedschaft bringen wir hier einen Kurzbericht mit einzelnen Folien in diesem Beitrag und darüber hinaus alle von Prof. Noe gezeigten Folien zum Download.

Zu Beginn seiner Ausführungen zum Thema der Supraleiter in Smart Grids (Folie 5 unten) stellte Prof. Noe kurz das KIT, welches 2006 aus dem Zusammenschluss des Forschungszentrums Karlsruhe und der Universität Karlsruhe entstand und sich in der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder unter zahlreichen anderen Bewerbern durchsetzte. Mit über 9.000 Beschäftigten, annähernd 25.000 Studierenden, knapp 360 Professoren und einem Budget von 785 Mio. Euro stellt das KIT schon ein Schwergewicht in der technologischen Forschung und Entwicklung dar (Folien 2 und 3). Das Thema Supraleitung wird, ausgehend von grundsätzlichen wissenschaftlichen Fragen bis hin zu den Markt berührenden Gesichtspunkten, im Institut für Technische Physik behandelt und stellt eine Organisationseinheit des KIT in der Helmholtz-Gemeinschaft dar (Folie 4).

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Prof. Dr.-Ing. Mathias Noe

Seit der Entdeckung der Hochtemperatur-Supraleiter in 1986 durch Bednorz und Müller ist die Entwicklung supraleitender energietechnischer Komponenten wie Kabel, Generatoren, Transformatoren, Strombegrenzern und magnetischer Energiespeicher sehr weit vorangeschritten. Im Gegensatz zu den bis dahin bekannten Tieftemperatur-Supraleitern ermöglicht hier eine einfache Kühlung mit preiswertem Stickstoff bei 77 K (-196°C) die Aufrechterhaltung des supraleitenden Zustandes. Wesentlich bedingt durch die großen Fortschritte bei der Herstellung sogenannter Hochtemperatur-Supraleiter der zweiten Generation konnten in den letzten Jahren eine Vielzahl erfolgreicher Feldtests von supraleitenden Komponenten durchgeführt werden. Als Ergebnis dieser Tests bleibt bisher festzustellen, dass supraleitende Komponenten alle technischen Anforderungen aus betrieblicher Sicht erfüllen. Das gilt insbesondere für supraleitende Kabel und Strombegrenzer, die aktuell bereits kommerziell verfügbar sind.

Der Vortrag gab eine kurze Übersicht über den Stand der Hochtemperatur-Supraleiter-Materialentwicklung und ging dann ausführlich auf den Stand der Entwicklung der einzelnen Komponenten ein und zeigte Anwendungsmöglichkeiten in elektrischen Netzen auf. Dabei wurden technische und wirtschaftliche Aspekte der Anwendungen an konkreten Beispielen dargestellt. Auf das Beispiel des weltweit längsten supraleitenden Kabels mit einer Länge von 1 km und einer Leistung von 40 MVA, das derzeit in Essen in Betrieb ist, wurde besonders eingegangen.

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Prof. Dr.-Ing. Mathias Noe

Warum Supraleitung zunehmend angewandt werden sollte beantwortete die obige Folie 6. Stromdichten von 100 A bis 10 kA pro mm2 gegenüber je nach Anwendungsfall und damit Wärmeabfuhr zulässigen 1 - 5 A/mm2 bei Kupferleitern ermöglichen erhebliche Verringerungen von Leitungsverlusten und minimale Leiterquerschnitte bei hohen Übertragungsleistungen, da der Gleichstromwiderstand von Supraleitern unterhalb der Sprungtemperatur oder kritischen Temperatur Tc rapide abfällt.

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Prof. Dr.-Ing. Mathias Noe

Der supraleitende Effekt wurde schon 1911 nach Entdeckung der Heliumverflüssigung mit Temperaturen unterhalb 4,2 Kelvin bei Messungen an Quecksilber entdeckt, aber erst die Entdeckung der Hochtemperatur-Supraleiter bei 77 K ermöglichte wirtschaftliche Anwendungen. Die hier verwendbaren Materialien müssen als Keramiken bezeichnet werden und verwenden Bismut (Bi) oder Seltenerdmetalle wie Yttrium (Y) in sehr komplexen Verbindungen wie z. B. Bi2-xPbxSr2Ca2Cu3Oy (Bismut-Strontium-Calcium-Kupferoxid) oder auch YBa2Cu3O7-x (Yttrium-Barium-Kupferoxid). Die Sprungtemperaturen liegen dann bei ca. 110 bzw. 90 K (Folie 9 oben).

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Prof. Dr.-Ing. Mathias Noe

Nach Erläuterung dieser Grundlagen ging Prof. Noe dann auf die Anwendungen ein und betrachtete hier zunächst supraleitende Kabel. Vorteile sieht er bei der Kabelverlegung, bei Umwelt und Marketing sowie im Betrieb (Folie 11) und präsentierte dann ausgewählte Beispiele (Folien 12 u. 13). Ausführlicher ging er dann auf das Projekt AmpaCity ein, welches durch die Projektpartner RWE als Energieversorger, Nexans als Kabelhersteller und das KIT für eine Leistung von 40 MVA bei einer Betriebsspannung von 10 kV über eine Strecke von 1 km in Essen zwischen den Stationen Dellbrügge und Herkules realisiert wurde (Folien 14 - 17). Eingesetzt wurde ein supraleitendes Drehstromkabel mit konzentrischer Anordnung der Leiter L1 - L3, innenliegender Zuführung des flüssigen Stickstoffs sowie unter der thermischen Isolierung und Bewehrung liegender Rückführung des flüssigen Stickstoffs (Folie 14 oben). Ziel war der Entfall eines 110/10kV-Transformators und damit u. a. die Vermeidung dessen Leerlaufverluste in lastschwachen Zeiten (Folie 17 unten).

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Prof. Dr.-Ing. Mathias Noe

Die Isolierung des supraleitenden Kabels und damit die Kühlung der Leiter (HTS-Tapes in Folie 18) unterhalb deren Sprungtemperatur erfolgt durch das im Kryostaten zwischen den beiden gewellten Mänteln verdampfenden flüssigen Stickstoffs. Auch bei den beiden vorgestellten supraleitenden HGÜ-Kabeln in Einleiter- wie auch Zweileiter-Version ist dies so (Folie 18 unten). Anwendungen hierzu zeigt Folie 19.

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Prof. Dr.-Ing. Mathias Noe

Im folgenden Abschnitt seines Vortrags stellte Prof. Noe dann die Vorteile supraleitender rotierender Maschinen, deren Anwendungsmöglichkeiten und den Stand der Entwicklung an ausgewählten Beispielen vor (Folien 21 - 25). Neben der höheren Stromdichte, damit der höheren Flussdichte im Luftspalt ergeben sich durch den Verzicht auf Eisen zahlreiche Vorteile für diese Maschinen wie geringeres Volumen und Gewicht und auch im Betrieb. Hierbei berichtete er auch über das von der EU geförderte Projekt SUPRAPOWER. Ziel dieses Projektes ist die Entwicklung eines Offshore-Windgenerators mit einer Leistung von 10 MW bei einer Drehzahl von 8,1 Umdr./min und einem Drehmoment von 11,8 MNm (Folie 26 unten):

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Prof. Dr.-Ing. Mathias Noe

Generatoren mit Supraleitern erlauben es, die Leistung auf zehn Megawatt und höher zu steigern und zugleich die Größe und das Gewicht wesentlich zu verringern. Außerdem benötigt der Bau supraleitender Generatoren weniger als ein Hundertstel der Menge an Seltenen Erden, die für die Herstellung der derzeit häufig eingesetzten Permanentmagnet-Generatoren erforderlich ist. Damit ermöglicht die Supraleitung effiziente, robuste und kompakte Windkraftanlagen bei reduzierten Bau-, Betriebs- und Unterhaltskosten. Der Bereich Kryotechnik am Institut für Technische Physik (ITEP) des KIT steuert zu dem Projekt die Kühlung bei: Supraleiter weisen unterhalb einer bestimmten Temperatur keinen elektrischen Widerstand auf und leiten Strom verlustfrei. Damit der supraleitende Generator funktioniert, müssen die Spulen unter diese sogenannte Sprungtemperatur gekühlt werden. Die Forscher am ITEP entwickeln einen rotierenden und verlustarmen Kryostaten, in dem die supraleitenden Spulen mit Gifford-McMahon-Kühlern durch reine Wärmeleitung auf 20 Kelvin (minus 253,15 Grad Celsius) gekühlt werden
(Quelle https://www.kit.edu/kit/pi_2013_12442.php).

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Prof. Dr.-Ing. Mathias Noe

Bisher werden die einzelnen Windkraftanlagen mit Drehstromgeneratoren in einem Windpark wegen ihrer voneinander abweichenden Drehzahl und damit Frequenz stets über einen Gleichstrom-Zwischenkreis mit anschließender Umrichtung voneinander entkoppelt. Eine Übertragung an Land mit größerer Entfernung als ca. 80 - 100 km wird wegen der hohen Blindstrombelastung der Kabel bei 50 Hz ebenfalls in HGÜ-Technik ausgeführt (siehe hierzu auch unsere Vorträge und und Exkursionen sowie teilweise die Berichte dazu in den letzten Jahren). Hierdurch verringert sich der Gesamtwirkungsgrad auf unter 90 %. Prof. Noe sieht durch den Einsatz zukünftiger supraleitender in Reihe geschalteter Generatoren weniger Komponenten im Einsatz und deutlich höhere Wirkungsgrade (Folie 27 oben).

Ein weiteres Kapitel des Vortrags behandelte supraleitende Strombegrenzer. Diese zeichnen eine schnelle Strombegrenzung (Folie 29), eine vernachlässigbare Impedanz im Normalbetrieb (Folie 30), schnelle und vor allem automatische Wiedereinsatzbereitschaft (Folie 31), Eigensicherheit, Wirtschaftlichkeit und weitere Eigenschaften aus, die zusammen mit den verschiedenen Arten (auf Folie 35 der Vergleich zur Eisenkern-Vormagnetisierung mit Gleichstrom und zur Lösung mit Eisenkern), den Anwendungsmöglichkeiten und dem Stand der Entwicklung auf den Folien 32 - 40 dargelegt sind.

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Prof. Dr.-Ing. Mathias Noe

Auch supraleitende Transformatoren, die mit ihren weit höheren Stromdichten von >100 A/mm2 gegenüber 3 - 5 A/mm2 bei normaler Bauweise) Vorteile durch geringere Abmessungen und Gewichte, Ressourcenschonung und im Betrieb bringen (Folie 42 oben) sind im Leistungsbereich von ca. 40 kVA bis 28 MVA als Demonstrator und Prototyp bereits entwickelt und gebaut worden (Folien 44 und 46). Das KIT selbst hat in diesem Jahr einen Demonstrator von 1 MVA bei 20 kV Oberspannung vorgestellt (Folie 45 unten)

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Prof. Dr.-Ing. Mathias Noe

Und so sind auch supraleitende magnetische Energiespeicher denkbar und mittlerweile gebaut worden. Sie übernehmen mit ihren kurzen Reaktionszeiten im Netz Aufgaben wie die Flicker-Kompensierung, Netzstabilisierung und sogar Energiespeicherung bis hin zu 19 Megajoule (≙ 5,28 kWh) bei einer Leistung von 10 MVA (Folien 48 - 51).

Die im Vortrag gezeigten Folien können Sie sich unter Downloads + Links oder durch Klick auf diesen Link hier herunterladen.

Wolfgang Dünkel
Öffentlichkeitsarbeit

(last update 02.01.2016)