Ein Arbeitsplatz in der Schaltleitung

| TenneT TSO GmbH
04.03.2016 Veranstaltungsrückblick

Exkursion zur Schaltleitung Lehrte der TenneT TSO GmbH

- Ausführlicher Bericht mit Bildern und Text zur 220-/110-kV-Schaltanlage und zur Präsentation zur Schaltleitung -

Exkursion Schaltleitung...

220-kV-Schaltanlage Lehrte mit links Stromwandlern vor den 220-/110-kV-Transformatoren, SF6-Leistungsschaltern in der Bildmitte und Trennschaltern rechts zu den Sammelschienen

| Wolfgang Dünkel

Am 17.02.2016 besuchte der VDE Kassel mit einer 40-köpfigen Gruppe von fachlich sehr interessierten Exkursionsteilnehmern, hierunter Wissenschaftler unseres korporativen Mitglieds Fraunhofer IWES, Mitarbeitern unseres korporativen Mitglieds Städtische Werke Netz + Service, ehemaligen und weiterhin tätigen wissenschaftlichen Mitarbeitern des Fachbereichs Elektrotechnik / Informatik der Universität Kassel und dortigen Studenten die Schaltleitung Lehrte der TenneT TSO GmbH in Lehrte-Ahlten, nur gut einen Kilometer entfernt vom Autobahnkreuz Hannover-Ost, der Verbindung von A2 und A7.

Die dortige Schaltleitung und das nebenan liegende 220-kV-Umspannwerk gehörten früher zur PreußenElektra AG, die – hier unter Weglassung zahlreicher Details – nach der Fusion mit der Bayernwerk AG im E.ON-Konzern aufging und im Zuge des Unbundling von Energieerzeugung und -übertragung als E.ON-Tochter-Gesellschaft "transpower stromübertragungs gmbh" an die niederländische TenneT veräußert wurde.

Vor dem Besuch der Schaltleitung besichtigten wir in dem TenneT-Komplex nördlich des Ortsteils Ahlten der Stadt Lehrte auf Wunsch etlicher Teilnehmer die benachbarte Schaltanlage, die ihre Ursprünge aus der Zeit des Vor-Vor-Vorgängerunternehmens PreußenElektra AG und der ehemaligen 220-kV-Reichssammelschiene hat. Bei herrlichstem Sonnenschein, aber doch recht kühl, geführt und erläutert von Elektromeister Bernd Keßmeier sahen wir dort die 110-kV-Freiluft-Schaltanlagen für die Versorgung der Region und zur Stadt Hannover sowie die 220/110-kV-Umspannanlage mit Petersenspule zur Löschung des 110-kV-Netzes bei einem Erdschluss.

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Einer der drei 220-/110/-10-kV-Dreiwicklungs-Transformatoren der Schaltanlage in Lehrte mit den drei 110-kV-Trafoausleitungen und der sekundären Sternpunktausleitung auf der Breitseite, den 10-kV-Abgängen für den Eigenbedarf und den drei 220-kV-Ausleitungen links und rechts an den beiden Schmalseiten, links vorn der Sternpunkt der 220-kV-Seite.

| Wolfgang Dünkel

Zwei der drei 220-/110-/30-kV-Transformatoren (Nrn. 213 und 214) sind für den umgebenden Landkreis, der dritte (Nr. 211) für die Stadt Hannover bestimmt, ein ursprünglicher vierter (Nr. 212) wurde in eine andere Schaltanlage umgesetzt. Es handelt sich um sog. Dreiwickler-Trafos, die Primärseite im klassischen Sinn ist die 220-kV-Wicklung, die Sekundärseite die 110-kV-Wicklung. Darüber hinaus haben alle drei Trafos eine 10-kV-Wicklung für den Eigenbedarf des Standorts. In diesem Bericht nicht abgebildet ist eine aus Schallschutzgründen dreiseitig eingehauste Drosselspule, welche die Kompensation der kapazitiven Blindleistung der Leitungen übernimmt. Die 220-kV-Schaltanlage ist im Raum Hannover - Peine mit etlichen weiteren 220-kV-Anlagen und darüber hinaus mit Niestetal-Sandershausen, sowie dem norddeutschen Raum zwischen Emden, Hamburg, Flensburg und Lübeck verbunden.

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Nach dem Mittagessen in der Kantine erwarten die Teilnehmer die Präsentation

| Wolfgang Dünkel

Der Wunsch nach einem Besuch dieser Schaltleitung war bei der Jahresmitgliederversammlung 2015 entstanden. Bei dieser wurde im abschließenden Vortrag die bilanzielle Autarkie einzelner Netzbetreiber wie der Stadtwerke Wolfhagen im Verteilnetz erläutert. Es stellte sich danach die Frage, wer eigentlich für die Netzführung und Frequenzhaltung nach dem Unbundling, also der Entkopplung Netzbetrieb von Energieerzeugung und -handel, und damit der Vielzahl der Einspeiser von Wind-, PV- und Biomasseenergie auf Hoch-, Mittel- und Niederspannungsebene verantwortlich ist und was dies für unsere Energieversorgung bedeutet. Unser Kasseler Mitglied Dipl.-Ing. Rolf Warncke, ehemaliger Vorsitzender des VDE Kassel und bis 1978 Leiter der Schaltleitung Lehrte der PreußenElektra, übernahm die Kontaktaufnahme und am 23.03.2015 wurde bei einem gemeinsamen Besuch mit dem Unterzeichner diese Exkursion vereinbart.

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Volker Weinreich, TenneT TSO GmbH

Nach dem Besuch des Umspannwerkes, welches seine Ursprünge zumindest in der Zeit der "220-kV-Reichssammelschiene" hat (siehe auch Bericht über den Vortrag von Dipl.-Ing. Walter Schossig vom 21.01.2016) stellte uns Frau Henrike Lau, Referentin externe Kommunikation Offshore bei der TenneT TSO GmbH, zunächst das Unternehmen vor und dann übernahm Dipl.-Ing. Volker Weinreich die Vorstellung der Aufgaben einer Schaltleitung und die Beantwortung unserer Fragen. Er stellte uns dankenswerterweise seine Präsentation zur Verfügung und diese wird hier aus Sicht des Unterzeichners auch für interessierte Nichtfachleute kommentiert.

Herr Weinreich gliederte - unter ausdrücklicher Vorbemerkung, dass auch er für die Erneuerbaren Energien sei, aber zugleich auch auf die Auswirkungen hinweisen müsse - seinen Vortrag in die Punkte

  • Aufgaben eines Übertragungsnetzbetreibers
  • Entstehung und Eigenschaften des Stromnetzes
  • Einfluss von Erneuerbaren Energien und
  • Folgen der veränderten Erzeugungslandschaft

Nach dem Energiewirtschaftsgesetz (EnWG, § 11) ist der Übertragungsnetzbetreiber verpflichtet, ein "sicheres, zuverlässiges und leistungsfähiges Energienetz diskriminierungsfrei zu betreiben, zu warten und bedarfsgerecht zu optimieren, zu verstärken und auszubauen" (Folie 3 unten). Was für uns Fachleute als Elektrotechniker mit diesem Satz definiert wird, ist völlig eindeutig. Daher hier für den fachlich vorgebildeten, erfreulicherweise aber Interessierten:

  • Bereitstellung des Netzzugangs


Strom, genau genommen elektrische Energie, kommt nur dann aus der Steckdose, wenn er vorher irgendwie dort hineinkommt. Das gilt für die Pizza und die Weintrauben, den Käse und die Dose Bohnen beim Lebensmittelhändler genauso. Also benötigen die Stromhändler (in unserer Region beispielsweise die EAM Energie GmbH) genauso wie die Stromerzeuger (hier beispielsweise die Stadtwerke Wolfhagen mit ihren Windkraftanlagen auf dem Rödesser Berg) einen Netzzugang, der ihnen den Bezug wie die Einspeisung in das Netz ermöglicht (in der Folie 3 unten).

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Volker Weinreich, TenneT TSO GmbH
  • Bereitstellung der Regelleistung


Strom ist leider nur sehr, sehr eingeschränkt speicherbar. Mit Gleichstrom ist dies in Batterien möglich, aber da stoßen wir sehr schnell an unsere Kapazitätsgrenzen; bei Wechselstrom geht dies nur auf dem Umweg über Pumpspeicherkraftwerke (Folie 18 und z.B. in unserer Region die Waldecker PSW I und II) oder auch in mehr oder minder ferner Zukunft über das Power-to-Gas-Verfahren. Es kann also immer nur soviel elektrische Leistung - und über die Zeit betrachtet also elektrische Energie - erzeugt werden, wie momentan gerade benötigt wird. Daher muss ständig eine Regelleistungsreserve vorgehalten werden, die einerseits auf schwankenden Strombedarf, andererseits aber auch auf die schwankende Einspeisung der volatilen Wind- und PV-Energie reagieren. Details hierzu später mehr.

  • Sicherung der Systemstabilität


Demzufolge ist die Sicherung der Systemstabilität die vorrangigste Aufgabe des Betreibers eines Übertragungsnetzes und die weiteren Aufgaben wie der Betrieb und die Instandhaltung haben sich dem ohne mindere Bedeutung unterzuordnen.

Das Versorgungsgebiet der Tennet TSO GmbH umfasst das ehemalige, aus der E.ON Netz ausgegliederte 220- und 380-kV-Übertragungsnetz und ist verbunden mit dem Übertragungsnetz der staatlichen TenneT in den Niederlanden. Es reicht von Schleswig-Holstein und Niedersachsen an der Nordseeküste über Hessen und Bayern bis an Grenze zu Österreich (Folie 4). Und liegt damit zwischen den westlichen ÜNB-Betreibern Amprion GmbH und TransnetBW GmbH sowie dem östlichen ÜNB-Betreiber 50Hertz Transmission GmbH. Mit diesem Gebiet fällt der TenneT TSO GmbH neben der Aufnahme und dem Transport der Onshore-Windenergie an der Küste wie der Offshore-Windparks in der Nordsee eine äußerst umfangreiche Aufgabe zu, die nach Abschaltung der Kernkraftwerke im Süden vor allem Transport und nicht wie bisher Übertragung im Sinne eines Versorgungsausgleichs bedeutet. Hierzu später mehr.

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Volker Weinreich, TenneT TSO GmbH

Schon oft an den Vortragsabenden unseres VDE Kassel vorgetragen und dokumentiert erscheint es uns für die mit diesem Bericht ebenfalls angesprochenen Nichtfachleute dennoch wichtig, nochmals auf die Struktur unserer sich wandelnden Energieversorgung einzugehen (Folien 5 - 8) und auch die Gründe für die in einem knappen Jahrhundert entstandene Netzstruktur (Folien 9 - 17) anhand der Folien von Herrn Weinreich darzustellen.

Ursprünglich sah die Struktur einen (fast) ausschließlichen Top-Down-Energiefluss vor: Kraftwerke hoher (> 500 MW) und mittlerer Leistung speisten ihre Energie in das 220- bzw. 380-kV-Hochspannungs-Übertragungsnetz ein, über das 110-kV-Hochspannungs-Verteilnetz (in Kassel derzeit auch noch ein 60-kV-Verteilnetz) und ein üblicherweise 20-kV-, häufiger wie in Kassel 10-kV-Mittelspannungs-Verteilnetz gelangte die Energie über die Ortsnetzstationen mit einer Niederspannung von 230/400V zum Verbraucher (Folie 5 oben). In obigerer Folie nicht dargestellte Kraftwerke mit geringerer Leistung wie Wasserkraftanlagen an Flüssen oder Talsperren waren je nach Größe auch an das 110-kV- oder 20-kV-Verteilnetz angeschlossen, was aber grundsätzlich nichts an der Top-Down-Struktur, also dem Energiefluss von oben nach unten änderte.

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Volker Weinreich, TenneT TSO GmbH

Mit den PV-Anlagen auf Dächern änderte sich dies: In städtischen Gebieten hinzugekommene PV-Anlagen entlasteten zunächst die Ortsnetzstationen, der auf einzelnen Dächern gewonnene Strom wurde besonders im Sommer und in der Mittagszeit zunächst im eigenen Haus und in der Nachbarschaft verbraucht, ein eventueller Überschuss über die Ortsnetzstation entlastete auch das Mittelspannungsnetz. In ländlichen Gebieten mit teilweise großen Scheunendächern war die Entlastung der Ortsnetzstation so groß, dass z. T. eine erhebliche Rückspeisung in das Mittelspannungsnetz erfolgte und besonders bei Anlagen am Ortsrand die Spannung so hoch anstieg, dass nur durch bauliche Maßnahmen die Einhaltung der nach den VDE-Vorschriften zulässigen Spannungstoleranz gegeben war (Folie 6 oben).

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Volker Weinreich, TenneT TSO GmbH

Es kamen dann zunehmend weitere Erzeugungsanlagen ans Netz: Sowohl auf Fabriken wie entlang landwirtschaftlich nicht genutzten Freiflächen wurden größere PV-Anlagen errichtet. Sie speisten ihre Energie ebenso wie kleinere Windkraftanlagen und Biomasseanlagen direkt ins Mittelspannungsnetz ein, größere Windkraftanlagen und PV-Anlagen sogar direkt in die Umspannwerke aus dem Hochspannungs-Verteilnetz ein (Folie 7 oben). Teilweise wurden sogar eigene Umspannwerke für sie errichtet (Folie 8 unten).

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Volker Weinreich, TenneT TSO GmbH

Und damit wurde die ursprüngliche, in unserer seit knapp einhundert Jahren gewachsenen und stetig ausgebauten Top-Down-Struktur aufgehoben, denn je nach Jahres- und Uhrzeit wurde Energie auch ins Hochspannungs-Übertragungsnetz zurück gespeist, aus den Übertragungsnetzen wurden Transportnetze und es erfolgte ein Wandel weg von dem bisher geltenden Grundsatz "Erzeugung folgt Verbrauch" hin zu "Transport und Verbrauch folgt Erzeugung". Um dies zu verdeutlichen jetzt die Kommentierung der Folien 9 - 17.

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Volker Weinreich, TenneT TSO GmbH

Der Beginn der Versorgung unserer Städte mit elektrischer Energie war gekennzeichnet durch den Bau sogenannter "Zentralen", in ländlichen Gebieten gab es zunächst keinerlei Stromerzeugung. Es begann in Deutschland mit dem Bau der ersten "Zentrale" durch Werner von Siemens im Jahr 1879 in Berlin, damals noch in Gleichstrom-Technik. Diese Zentralen, nur gut zehn Jahre später bereits in Wechselstrom, später Drehstromtechnik versorgten nur einen kleinen Umkreis mit elektrischer Beleuchtung und kurz danach auch für Kraftzwecke (Folie 9 oben). Bei Laststößen durch die Zu- oder Abschaltung größerer Motoren entstanden Frequenz- und Spannungsschwankungen und wenn es eine Störung in dieser Zentrale mit Abschaltung der Stromerzeugung gab, blieb alles dunkel, in der Sprache der Elektrotechniker ein "Schwarzfall". Es entstand die Idee "n-1" (Folie 10) und führte zur Verbindung weiterer Kraftwerke mit dem ersten für ein größeres Versorgungsgebiet über Leitungen (Folie 11). Bei richtiger Auslegung könnte durchaus eines der Kraftwerke ausfallen, aber alle Verbraucher würden weiter versorgt werden. Dies wird als "n-1-Strategie" bezeichnet. Sollte aber während der Revision eines somit abgeschalteten Kraftwerks ein weiteres in diesem Verbund wegen einer Störung ausfallen, entstand wieder ein "Schwarzfall" (Folie 12).

f14_verbundnetzausfaelle
Volker Weinreich, TenneT TSO GmbH

Nach Elektrifizierung auch des ländlichen Raums nach dem ersten Weltkrieg ließ sich dem entgegen wirken, in dem die regionalen Zentren wie z. B. der Kasseler Raum mit seinen städtischen Kraftwerken, das Braunkohlekraftwerk Borken, das Wasserkraftwerk an der Edertalsperre, das Laufwasserkraftwerk an der Werra und viele weitere über ein Verbundnetz miteinander verknüpft wurden (Folie 13) und so einen oder je nach Lastfall sogar mehrere Störfälle mit Kraftwerksabschaltung oder auch Leitungsausfall erlaubten (Folie 14 oben). So entstand unser Verbundnetz, in dem aber nach wie vor die Aufgabe der Spannungshaltung und Frequenzhaltung bestand und auf die später eingegangen wird.

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Volker Weinreich, TenneT TSO GmbH

Mit der Vorrangstellung der Erneuerbaren Energien (EEG) und dem Energiemarkt entstanden für die Betreiber der Verbundnetze, also vor dem Unbundling die Unternehmen RWE, E.ON Netz, EnBW und Vattenfall, neue Aufgaben: Sie hatten lokale Windkraftanlagen (Folie 15) und regionale Windparks in ihre Netze zu integrieren, mussten vorrangig deren Energien durchleiten und somit konventionelle Kraftwerke drosseln bzw. abschalten, also die gewachsene verbrauchsnahe Erzeugung reduzieren, und dennoch die Sicherstellung der bisherigen Aufgaben gewährleisten (Folie 16 oben). So wurde aus dem bisherigen Verbundnetz, welches ausschließlich der Versorgungssicherheit diente ein Transportnetz (Folie 17 unten) mit allen sich daraus ergebenden neuen Aufgaben.

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Volker Weinreich, TenneT TSO GmbH

Nachfolgend gehen wir mit diesem Bericht über den Vortrag von Herrn Weinreich anlässlich unserer Exkursion näher auf die Aufgabe der Frequenzhaltung ein. Wie schon eingangs bei Erläuterung der Folie 3 ausgesagt kann Strom nur sehr, sehr eingeschränkt gespeichert werden und keinesfalls in einem Stromnetz gleich welcher Bedeutung selbst. In Deutschland ist eine Pumpspeicherleistung von ca. 7.000 MW entsprechend 7 GW installiert. Davon sind bei uns in Nordhessen die beiden Pumpspeicherwerke Waldeck I und Waldeck II mit 620 MW bei 3,9 GWh Speicherkapazität, welches wir 2006 und 2009 besichtigt haben, in Betrieb und darüber hinaus das von uns in 2006 besuchte . Die Speicherkapazität aller Pumpspeicherwerke in Deutschland beträgt 40 GWh, also 40.000.000.kWh und sichert damit lediglich 10 % der deutschen Last für 10 Stunden, kommt also für eine nennenswerte Sicherstellung unserer Energieversorgung über längere Zeit nicht infrage, jedoch für die anschließend zu erläuternde Regelleistung. Im Gegenzug muss beachtet werden, dass Wind und Sonne, speziell bei Hochdruckwetterlagen mit Inversion, über mehrere Tage nahezu keinen Beitrag zur Deckung des Energiebedarfs leisten (Folie 18).

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Volker Weinreich, TenneT TSO GmbH

Aufgabe der Netzbetreiber wie der TenneT TSO GmbH muss es also sein, den Strombedarf für jede Stunde und jeden Tag des Jahres verlässlich zu prognostizieren und auf Prognoseabweichungen sehr schnell zu reagieren. Die Einspeisung der Erneuerbaren Energien wie Wind und PV kann von der Prognose, die von mehreren Institutionen, wie beispielsweise unserem Kasseler korporativen Mitglied enercast GmbH an EVU und andere geliefert werden, kann von der Realität abweichen, aber auch die Lastentwicklung kann abweichen und neben veränderlichen Netzverlusten infolge anderer Wege innerhalb des vermaschten Übertragungsnetzes können aufgrund von plötzlich aufgetretenen Störungen auch die Fahrpläne der Kraftwerke ins Wanken geraten.

Hierzu ist zu bemerken, dass wir in Europa von Portugal über Frankreich, Dänemark, Polen, Rumänien und Griechenland bis Italien ein vermaschtes Übertragungsnetz mit zahlreichen Verbindungen zwischen den einzelnen aneinander grenzenden Ländern betreiben und somit eine einheitliche Frequenz herrscht, wenn auch mit je nach Entfernung, Leitungsform und Belastung unterschiedlichen Phasenverschiebungen zwischen diesen Ländern. Wechsel- und somit auch Drehstrom verläuft im Idealfall in seiner Spannungsform nach einer Sinuskurve, es gibt also mit der Frequenz von 50 Hertz (Hz) verlaufende positive Spannungsmaxima, Spannungsnulldurchgänge und negative Spannungsmaxima und diese können zeitlich geringfügig je nach induktiver oder kapazitiver Last verschoben sein.

Was passiert in solchen Fällen? Da Strom faktisch nicht speicherbar ist, muss die Erzeugung genau der benötigten Leistung entsprechen, Verbrauch und Produktion also in Waage sein, wie die obige Folie 19 zeigt. Steigt der Verbrauch, also die momentan benötigte Leistung, über die Produktion, also die momentan zur Verfügung gestellte Leistung, wird sich der Waagebalken nach links neigen und die Frequenz von 50 Hz sinken. Umgekehrt wird die Frequenz ansteigen, wenn weniger Leistung benötigt wird als angeboten. Dies muss schnellstens ausgeregelt werden und dazu gibt es mehrere Regelleistungsarten. Unabhängig von den genannten Phasenverschiebungen, auf die hier nicht weiter eingegangen wird, haben alle Generatoren in den europäischen Kraftwerken zu jedem Zeitpunkt den gleichen Spannungsverlauf in der Sinusform, also alle gleichzeitig ihr positives Spannungsmaximum usw. Und wenn beispielsweise die momentane Last größer als die Erzeugung ist, wird überall die Frequenz sinken. Um dies auszugleichen existieren diese Regelleistungsarten.

1. Primärregelung

Hier reagieren vollautomatisch die ausschließlich proportionalen Regler in den größeren Kraftwerken. Bei einer Frequenzänderung von 0,2 Hz müssen sie innerhalb von 30 Sek. ihre gesamte Primärregelleistungsreserve, die europaweit +/- 3.000 MW und deutschlandweit +/- 700 MW beträgt, zur Verfügung stellen. Also muss in Wärmekraftwerken wie Braunkohle- und (noch) Kernkraftwerken bei Frequenzabfall durch Laststeigerungen die Dampfzufuhr erhöht, bei Frequenzsteigerungen durch Lastabfall verringert werden. Windkraftanlagen und PV-Anlagen, die in der Regel über netzgeführte Umrichter betrieben werden, und beteiligen sich nicht an der Primärregelung, sie folgen einfach der Netzfrequenz (Sondersituation 50,2 Hz bei PV-Anlagen).

2. Sekundärregelung

Die integrale Sekundärregelung muss ebenfalls das Gleichgewicht zwischen Verbrauch und Produktion wieder herstellen. Allerdings gilt dies nur in der jeweiligen Regelzone, von denen das Netzgebiet der TenneT TSO eine ist. Es wird hier die Situation in der jeweiligen Regelzone inklusive des Stromaustauschs mit anderen Regelzonen betrachtet, also die tatsächlichen Energiezu- und abflüsse mit den geplanten verglichen und ausgeregelt. Auch dies erfolgt automatisch, die gesamte Regelleistung muss innerhalb von fünf Minuten erbracht werden und die Ausregelung nach 15 Minuten die Primärregelung abgelöst haben, sodass deren Leistung wieder als Primärregelleistungsreserve zur Verfügung steht. Zum Einsatz kommen Steinkohlekraftwerke, kombinierte Gasturbinen-/Dampfkraftwerke (GuD-Kraftwerke) und auch Pumpspeicherkraftwerke wie in unserer Region Waldeck I und II. Zur Reduzierung der Kosten gründeten die Übertragungsnetzbetreiber mittlerweile eine gemeinsame Gesellschaft für die Sekundärregelung.

3. Tertiärregelung (Minutenreserve)

Diese Regelung dient vorwiegend der wirtschaftlichen Optimierung, wird automatisch beim Lieferanten abgerufen und muss die vorgehaltene Minutenreserveleistung innerhalb von 15 Minuten zur Verfügung stellen. Zum Einsatz kommen hier sowohl konventionelle Kraftwerke wie auch regelbare Lasten.

f20_frequenzabweichung
Volker Weinreich, TenneT TSO GmbH

Die obige Folie 20 zeigt in der Grafik die Auswirkungen von Frequenzsteigerungen und -absenkungen.
Zwischen 51,5 Hz, also der zu hohen Energieerzeugung gegenüber dem Verbrauch mit dem Abtrennen der Kraftwerke vom Netz und 47,5 Hz, der zu hohen Last gegenüber der Erzeugung und dem Abwerfen von Last, spielt sich die ganze Bandbreite der Maßnahmen einer Schaltleitung ab und führt mittlerweile zu knapp 1.000 Eingriffen pro Jahr zur Einhaltung der Systemstabilität. Von Bedeutung ist hier hinsichtlich der Frequenz neben der Windkrafteinspeisung auch die PV-Einspeisung. Ursprünglich galt für alle PV-Wechselrichter, die wie die Umrichter bei Windkraftanlagen netzgeführt sind, die Verpflichtung, sich bei 50,2 Hz vom Netz zu trennen.

Da die PV-Einspeisung mittlerweile aber bei entsprechender Sonneneinstrahlung in den unteren zweistelligen Gigawattbereich ausgebaut wurde, hätte die Gefahr bestanden, dass bei Erreichen dieser Frequenz schlagartig alle PV-Anlagen abschalten würden und so die Frequenz wegen massiver Kürzung der Leistungsbereitstellung absinken und zum Netzzusammenbruch führen könnte. Daher waren ab 2011 nach der vom Forum Netztechnik/ Netzbetrieb (FNN) des VDE herausgegebenen Anwendungsregel VDE-AR-N 4105 "Erzeugungsanlagen am Niederspannungsnetz" ältere Anlagen sukzessive so umzurüsten, dass eine gleitende Leistungsreduzierung bei weiter steigender Frequenz erreicht wurde, neuere Anlagen wie die des Unterzeichners dieses Berichts sind ab Werk so ausgestattet.

f21_ee-erzeugungsleistungen
Volker Weinreich, TenneT TSO GmbH

Die obige Folie 21 zeigt die bisher installierte und bis 2023 prognostizierten Erzeugungsleistungen der Erneuerbaren Energien Biomasse, Wasserkraft, Wind und Solar. Während Biomasse und Wasserkraft in diesen 23 Jahren etwa auf das Doppelte ansteigen und lediglich gut 10 % der dann 140 GW Erzeugung ausmachen, steigen die Erzeugungsleistungen Wind und Solar derart massiv an, dass bei der derzeit zwischen 35 GW (Wochenende, Feiertage im Sommerhalbjahr) und 80 GW (Arbeitstage im Winterhalbjahr) schwankenden Last ein erhebliches Überangebot besteht, welches sowohl Transportbedarf erzeugt wie auch zur Abregelung konventioneller Kraftwerke führen muss, welche dennoch aufgrund der Volatilität der EE in Warmreserve wie auch Kaltreserve bleiben müssen.

f22_ee-pvauswirkungen
Volker Weinreich, TenneT TSO GmbH

Bei der PV-Einspeisung bestehen, wie obige Folie 22 zeigt, zwischen den beispielhaft dargestellten Kalenderwochen (KW) 1 und 27 des Jahres 2015 und den einzelnen Wochentagen erhebliche Unterschiede, welche bei der Kraftwerkseinsatzplanung berücksichtigt werden und zwangsläufig Vorhaltekosten beinhalten müssen. Gleiches gilt für die Volatilität der Wind-Einspeisung in der TenneT-Regelzone, gezeigt am Beispiel der KW 40 und 51 des Jahres 2014 (Folie 23). Noch gravierender sieht das in der unteren Folie 24 aus. Hier ist die Volatilität der Offshore-Wind Einspeisung der Anlagen in der Nordsee, welche alle die TenneT-Regelzone betreffen, für den Monat August 2015 dargestellt: Die Windeinspeisung schwankte zwischen 0 (Null !) bei einer vermutlich weitgehend großräumigen Hochdruckwetterlage und ca. 2.200 MW. Und noch sind nicht alle geplanten und beauftragten Windkraftanlagen installiert.

f24_windvolatilitaet
Volker Weinreich, TenneT TSO GmbH

Die Folgen dieser weiterhin ansteigenden Leistung aus EE werden in den Folien 25 und 26 dargestellt. Bei einer Erzeugungsleistung von 15 GW (= 15.000 MW) liegt der Schnittpunkt von Angebot und Nachfrage höher als der Börsenpreis von 40 €/MWh (= 4 Cent/Kilowattstunde), konventionelle Kraftwerke können noch wirtschaftlich betrieben werden. Steigt jedoch die Erzeugungsleistung über beispielsweise 30 GW an, werden de konventionellen Kraftwerke aus dem Markt gedrängt. Die modernen Gaskraftwerke in Irsching in Bayern sind nach Aussagen der Betreiber jetzt schon nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben. Es stellt sich also die Frage, wie in Zukunft Regelenergie bereitgestellt werden kann, welche die Investitionen in sie rechtfertigt (Folie 27).

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Volker Weinreich, TenneT TSO GmbH

Herr Weinreich unternahm nach diesem Blick in die Volatilität der Erneuerbaren Energien mit der Folie 28 oben als Basis seiner Erläuterungen und der Folie 29 unten einen kleinen Exkurs in die jedem Elektrotechniker bekannten Grundlagen der Elektrotechnik (1. Semester, Ohmsches Gesetz und Kirchhoffsche Regeln, oh, oh, lang, sehr lang ist´s her, dennoch aber immer noch als Kolleg von damals und im Kopf stets präsent!). Da das Übertragungsnetz aus Gründen der Versorgungssicherheit vermascht ist, also zahlreiche Schalt-/Umspannanlagen mit anderen Schalt-/Umspannanlagen über weitere Leitungen wegen der Ausfallmöglichkeit einer Leitung bei z. B. Blitzeinschlägen oder Revisionen verbunden sind, fließt Strom von den Anlagen der Energieerzeugung zu den Anlagen des Verbrauchs nach den oben zitierten Gesetzen und Regeln.

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Volker Weinreich, TenneT TSO GmbH

Und das bedeutet nun einmal entsprechend Folie 29, dass der Windstrom, gewonnen aus den Anlagen an und vor der Nordseeküste auch über die Leitungen nach den Niederlanden über Belgien nach Frankreich und von dort zurück nach Deutschland, die Schweiz und Italien fließt bzw. an und vor der Ostseeküste über Polen und Tschechien "heimkehrt" oder auch weitergeleitet wird und demzufolge wegen der steigenden Lastflüsse Eingriffe seitens des Netzbetreibers erfordert.

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Volker Weinreich, TenneT TSO GmbH

Und diese Eingriffe in das Netz nahmen in den letzten Jahren massiv zu, wie obige Folie 30 zeigt. Waren es 2003 noch zwei Eingriffe an insgesamt zwei Tagen des ganzen Jahres entwickelte sich diese Zahl über 387 Eingriffe an 185 Tagen des Jahres 2007 zu mittlerweile knapp 1000 und dies in 2014 faktisch rund um die Uhr und nur an vier Tagen des Jahres nicht. Getrieben wird diese massive Entwicklung durch lastfernen Erzeugungseinheiten, zunehmende Lastflüsse, die deutliche Zunahme der volatilen Erzeugungseinheiten Wind und PV bei gleichzeitiger Abnahme der konventionellen Erzeugungseinheiten. All dies zwingt zu einem steigenden Bedarf an Nord-Süd-Verbindungen (Folie 31), wie sie auch in unserer Region heiß diskutiert werden und wie wir sie in den Vortragsveranstaltungen am 24.03.2011 zur 380-kV-Verbindung Wahle - Mecklar der TenneT TSO östlich an Kassel vorbei hatten und auch in 2014 mit dem leider noch nicht kommentierten Vortrag zur SuedLink der TenneT TSO.

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Volker Weinreich, TenneT TSO GmbH

Ein Lösungsansatz für die geschilderten Probleme könnte ein in Norwegen und Schweden diskutiertes Modell unterschiedlicher Preiszonen sein (Folie 32 oben). Da der Transportbedarf für das Jahr 2020 auf über 20 GW steigen wird, unsere Übertragungsnetzte dafür aber nicht gebaut sind (siehe Folien 13 - 17) und die Erzeugung sehr lastfern erfolgen wird könnte dieses Modell mit den niedrigsten Energiekosten küstennah realisiert werden, zumindest aber nur in Norddeutschland, in Nordrhein-Westfalen, Hessen, Thüringen und Sachsen würde eine mittlere Preiszone entstehen und Baden-Württemberg und Bayern hätten die höchsten Energiekosten. Die Folge: Energieintensive Betriebe verlagern ihre Produktionsstätten Richtung Küste. "Wollen wir das?" fragte Herr Weinreich und gab auch gleich selbst die Antwort, dass dies nicht Ziel der TenneT TSO GmbH sein kann.

f34_uebertragungsentwicklung
Volker Weinreich, TenneT TSO GmbH

Bei Betrachtung der Folie 33 und der Folie 34 oben, welche die Entwicklung der maximalen Einspeiseleistung der Offshore-Windparks im Januar 2016 mit 2,8 GW darstellen und die Entwicklung der Offshore-Übertragungskapazität mit tatsächlich eingespeister Offshore-Leistung mit etwa 2,7 GW, dann kann festgestellt werden, dass sehr viele der Projekte realisiert wurden, wie dies auch in der Folie 35 unten dargestellt wird.

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Volker Weinreich, TenneT TSO GmbH

Und zum Abschluss weiter unten noch einige weitere Fotos der sehr informativen und eindrucksreichen ersten Exkursion des Jahres 2016, die wir sicherlich in den kommenden Jahren noch einmal wiederholen werden, auch weil in Lehrte sehr willkommen waren und uns bestens betreut fühlten. Nochmals unseren sehr herzlichen Dank an alle Mitwirkenden der TenneT TSO GmbH in Lehrte!

Wolfgang Dünkel
Öffentlichkeitsarbeit

(last update 05.03.2016)